Warum wir als Linke und Grüne die Neutralitätsinitiative unterstützen

von Pascal Lottaz

Die Sicherung der Neutralität ist ein parteiübergreifendes Thema

Als die Neutralitäts-Initiative mit 130’000 Unterschriften zustande kam, wurde sie in der NZZ und weiteren Leitmedien sofort als «Blocher»- oder gar als «Putin»-Initiative abgestempelt. Diese Zuschreibungen sind falsch: ein Versuch, das Volksbegehren von vorneherein und ohne inhaltliche Begründung zu diskreditieren. Das ist der sachlichen Auseinandersetzung um ein Volksbegehren unwürdig. Die Zukunft der Neutralität eine der wichtigsten Entscheidungen für die Schweiz. Dazu hat die Stimmbürgerschaft das letzte Wort. Parteiengeplänkel und Lagerdenken sind fehl am Platz. Es geht um ein parteiübergreifendes Thema: um die künftige aussen- und innenpolitische Positionierung der Schweiz.

Für die Neutralitäts-Initiative gibt es auch aus linker und grüner Sicht überzeugende Argumente. Wir haben sie in einem öffentlichen Aufruf 2023 publiziert. Das Echo ermutigte uns, das Volksbegehren weiter zu unterstützen. Unsere Kernargumente sind die folgenden:

  1. Eine allseitige Neutralität dient der international orientierten Schweiz
  2. Die aktive Neutralität der Schweiz ermöglicht Unabhängigkeit auf friedlichem Weg
  3. Die Rückkehr zur integralen Neutralität macht die Schweiz global glaubhaft
  4. Integrale Neutralität ist solidarisch; sie ist dem Ausgleich mit den armen Ländern verpflichtet
  5. Der Verzicht auf den NATO-Beitritt ist der wichtigste Beitrag der Schweiz zum Weltfrieden
  6. Die bewaffnete Neutralität ist ein pazifistischer Ansatz der internationalen Politik.

Im Kern geht es den linken und grünen Befürwortern der Initiative darum, den Kurs des Staatsschiffes Schweiz vom NATO-Eisberg abzuwenden. Im April 2022 mussten wir zusehen, wie die Regierungen und Parlamente in Schweden und Finnland ihre Neutralität ohne Volksabstimmung abschafften.

Auch in der Schweiz betreiben einflussreiche Kräfte eine Annäherung an die NATO, die letztlich zur Beseitigung der Neutralität führt. Seit 2022 hat der Bundesrat vier Berichte publiziert: Strategiepapiere, die die Schweizer Sicherheitspolitik nur noch im Kontext der Kollektiven Verteidigung mit der NATO und der EU konzipieren. Konstant wird die Annäherung und «Interoperabilität» mit der NATO als erstrebenswert und nötig dargestellt. Dass sich von so viel NATO-Liebe auch manche Linken und Grünen beeindrucken lassen, ist nachvollziehbar. Dass allerdings auch einst pazifistisch Engagierte mitmachen, ist schwer nachvollziehbar.

Wir gehören zu jenen Kräften, die in den sogenannten «Out of Area» Einsätzen der NATO eine Bedrohung des Friedens sehen. Der  Drang der Transatlantiker, das Bündnis offensiv über die Grenzen seiner Mitgliedsstaaten einzusetzen ist unverkennbar. Die NATO hat bereits 1999 Serbien bombardiert, in Afghanistan mitgekämpft, und spielt eine entscheidende Rolle im Ukrainekrieg. Man kann diese Einsätze für legitim halten oder nicht – dass sie über die Staatsgrenzen der Mitglieder hinweg stattfinden, ist unbestreitbar. In diesem Sog wollen wir nicht mitmachen. Die Initiative erlaubt eine Kurskorrektur: Sie schiebt dem schleichenden NATO-Beitritt einen Riegel. 

Gleichzeitig verstehen wir die Neutralität der Schweiz als einen Dienst sowohl an unserem internen Frieden als auch am Frieden in Europa und der Welt: Unser Land steht – über das Internationale Rote Kreuz hinaus – für Konfliktverhinderung und für Konfliktvermittlung  zur Verfügung. Damit leistet sie Friedensarbeit.

Die Schweiz verfügt über einzigartige Erfahrungen mit der Neutralitätspolitik. Sie gilt als friedfertiges Land und glaubwürdige Vermittlerin in internationalen Konflikten. Solches könnte Schule machen: Dutzende Länder im Globalen Süden orientieren sich neu, um nicht zwischen die Fronten Russlands und der NATO oder zwischen den USA und China zu geraten. Hier kann die Schweiz ihr Wissen über pragmatische Politik zwischen geopolitischen Schwergewichten einbringen und vermitteln. Eine konsequente, weltoffene und glaubwürdige Neutralität ist der beste Beitrag zu einer Schweiz, die international und allseitig geachtet wird.

Wir lehnen die Selbstverteidigung nicht ab – die Initiative spricht dediziert von einer bewaffneten Neutralität. Aber wir lehnen die kollektive Variante ab, weil fast jeder Krieg seit 1945 mit «kollektiver Selbstverteidigung» gerechtfertigt wurde. Sogar Vladimir Putin behauptet, in der Ukraine Russland und den Donbass nur zu verteidigen. Genau gleich haben die USA 2003 argumentiert, ihr Angriff auf den Irak sei legitim: Er diene nur der Selbstverteidigung gegen die berüchtigten «Massenvernichtungswaffen», die aber nie existiert haben.

Wir machen bei solchen Dummheiten nicht mit! Die Schweiz hat ihre spezifischen Stärken. Diese kann sie am besten einsetzten, wenn sie sich militärisch und wirtschaftlich weitmöglichst aus den Konflikten anderer Staaten heraushält und stattdessen versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln—ganz im Sinne aller Friedensengagierten dieser Welt.